Dellenheim Teil 2

Grenzgänger und andere Gefahren

Ein weiteres Grenzland-Noir-Stück aus dem Kapellenweg

Von Claire Rouvier

Ich wohne immer noch im Kapellenweg. Drei Monate später. Die Blumentöpfe sind weg, mein Glaube an die Menschheit auch. Dafür habe ich jetzt neue Nachbarn: Die Hackers. Mit ck, nicht mit Doppel-k. Das ist wichtig, sagt Frau Hacker, weil sie aus dem luxemburgischen Teil der Grenze stammt und das sei „kulturell signifikant“.

Herr Hacker pendelt. Jeden Tag. Nach Belgien. Um dort deutsche Autos zu verkaufen. An Franzosen. Das ist hier normal. Die Grenze macht aus jedem einen Opportunisten. Morgens um 5:47 Uhr startet sein Diesel. Immer um 5:47 Uhr. Nicht 5:45, nicht 5:50. Die Präzision eines Mannes, der sein Leben nach Tankstellenpreisen richtet.

Gestern kam Horst wieder. Diesmal mit dem Gemeinde-Rasenmäher. Er hat meinen Rasen gemäht. Ungefragt. Aber nur die Hälfte. „Die andere Hälfte gehört technisch gesehen zu Frankreich“, sagte er und zeigte auf eine imaginäre Linie quer durch meinen Garten. Ich habe nachgemessen. Mein Grundstück liegt komplett in Deutschland. Aber Horst hat seine eigene Kartografie. Eine, in der Blumentöpfe Anarchie bedeuten und halbe Rasenflächen internationale Diplomatie.

Der Bürgermeister Kaatz – immer noch mit tz – hat einen Newsletter gestartet. „Dellenheim Digital“ heißt das Ding. Letzte Woche stand drin: „Neue Hundekotbeutelspender am Friedhof installiert.“ Das war die Hauptnachricht. Die Nebennachricht: Der Friedhof ist seit 2019 geschlossen. Aber die Beutelspender stehen da. Für die Hunde, die es nicht gibt. Weil Haustiere in Dellenheim als „emotionale Abhängigkeit“ gelten.

Am Wochenende war Dorffest. Thema: „Grenzenlose Freundschaft“. Die Belgier kamen mit Bier, die Luxemburger mit Steuertipps, die Franzosen gar nicht. Wir Deutschen haben gegrillt. Horst hat die Würste gezählt. Zweimal. „Inventurkontrolle“, nannte er das. Am Ende fehlten drei Bratwürste. Verdächtigt wurde der französische Bürgermeister aus dem Nachbardorf. Der war aber gar nicht da. Trotzdem wurde ein Krisengespräch anberaumt.

Frau Hacker hat mir erklärt, dass das hier normal sei. „Grenzland-Paranoia“ nennt sie das. Jeder verdächtigt jeden, alle misstrauen allem, und am Ende trinken doch alle zusammen Schnaps aus Flaschen ohne Etiketten, die irgendwer irgendwo über irgendeine Grenze geschmuggelt hat.

Ich überlege umzuziehen. Nach Berlin vielleicht. Oder München. Irgendwohin, wo die Grenzen klar sind und niemand meinen Rasen aus geopolitischen Gründen nur zur Hälfte mäht. Aber dann denke ich an die Mieten dort und bleibe sitzen. Hier im Kapellenweg. Wo der Wahnsinn wenigstens billig ist.

Morgen kommt übrigens der Schornsteinfeger. Der kommt aus Belgien, kehrt aber nur deutsche Kamine. Die französischen macht sein Cousin. Der ist Deutscher, wohnt aber in Luxemburg. Verstehen muss man das nicht. Man muss es nur aushalten.

Endlich Montag.

Eure Claire Rouvier

P.S.: Horst hat heute Morgen meine Mülltonnen umgestellt. Farbcodiert nach EU-Verordnung, sagt er. Die schwarze Tonne steht jetzt bei den Hackers. Dafür habe ich ihre gelbe. Grenzland-Logik. Widerstand zwecklos.

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