Der Morgen brach eisig und still über die verschneite
Landschaft herein. Es war der 5. Januar, und die
Wintersonne, kaum mehr als ein blasses Schemen am
Horizont, bemühte sich vergeblich, die dicke Decke aus
Frost und Nebel zu durchdringen. Die Our floss laut
zwischen den zugefrorenen Ufern dahin, ihr Wasser ein
dunkler, fast bewegungsloser Strom, der sich seinen Weg
durch die winterliche Starre suchte. Die Welt wirkte, als
hätte sie den Atem angehalten, eingehüllt in eine
vollkommene, kalte Stille.
Ich saß an meinem Schreibtisch, die Tasse Kaffee dampfte
neben mir, ein Hauch Zimt mischte sich mit dem
winterlichen Duft, der durch das gekippte Fenster
hereindrang. Draußen wirbelte der Schnee in sanften Böen,
und das Dorf lag friedlich unter einer dicken, weißen
Schneeschicht. Es war dieser Moment der Ruhe, der mich
dazu brachte, über Ostbelgien nachzudenken und die
Faszination dieses Landstrichs in Worte zu fassen.
Ich saß an meinem Laptop, der Kaffee neben mir dampfte,
und begann, die Worte für meinen Artikel in die Tastatur zu
tippen…….
….Ich blickte zur Uhr. Der Text war geschrieben, die
Gedanken waren geordnet. Draußen hatte der Schnee die
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Straßen in eine weiße, weiche Hülle gelegt. Die Beerdigung
von Guido stand bevor. Mit einem letzten Blick auf den
Text speicherte ich die Datei, klappte den Laptop zu und
atmete tief durch.
Ich liebe diese Landschaft. Die Ruhe, die Weite, das Gefühl,
dass die Zeit hier langsamer vergeht. Es ist nicht einfach
nur ein Ort, es ist ein Zufluchtsort, der mich nach all den
Jahren des hektischen Lebens und Arbeitens aufnimmt. Die
sanften Hügel, die dichten Wälder und die Our, die sich wie
eine stille Begleiterin durch die Täler schlängelt – all das hat
etwas Beruhigendes. Es gibt keine grellen Farben hier im
Winter, nur das gedämpfte Weiß des Schnees, das Grau der
Steinhäuser und das tiefe Grün der Tannen. Und doch ist
es wunderschön.
Die Häuser im Dorf, mit ihren vielen Schornsteinen und
Fenstern, aus denen vereinzelt warme Lichtpunkte drangen,
standen wie geduckte Wächter in der weißen Landschaft.
Rauch stieg aus den Kaminen, kringelte sich wie zögernde
Gedanken in den Himmel und verschwand im diffusen
Grau des Tages. Die schmalen Straßen waren von einer
dünnen Schneeschicht bedeckt, und das einzige Geräusch,
das die Stille durchbrach, war das Knirschen meiner Stiefel,
während ich langsam den Weg entlangging.
Es war eine dieser eisigen Morgenstunden, in denen jeder
Atemzug kleine Wolken vor dem Gesicht bildete, und die
Kälte wie eine lebendige Kraft in die Kleidung kroch. Meine
Finger, trotz der warmen Handschuhe, spürten die klirrende
Luft, und die Gedanken flogen zurück zu den jüngsten
Ereignissen. Irgendetwas stimmte nicht in dieser Kulisse.
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Etwas Uraltes und Verstörendes schien sich seinen Weg aus
der Vergangenheit in die Gegenwart zu bahnen.
Ich blieb kurz stehen, mein Blick glitt über die Weite der
schneebedeckten Felder und den dichten Wald, der in der
Ferne wie eine dunkle, undurchdringliche Mauer wirkte.
Der Schnee auf den Ästen der Bäume glitzerte schwach im
spärlichen Licht des Morgens, und eine unbestimmte
Unruhe machte sich in mir breit. Es war, als würde die
Landschaft selbst eine Geschichte erzählen wollen, die
lange verborgen geblieben war.
Der Weg zum Friedhof war still und einsam, ein schmaler
Pfad, der sich zwischen den Feldern hindurchwand. Die
Kapelle am Rand des Kirchhofs, ein bescheidener Bau aus
grauem Stein, wirkte in diesem frostigen Licht wie ein Relikt
aus einer anderen Zeit. Sie stand erhoben auf einem kleinen
Hügel, umgeben von schiefen Grabsteinen, die unter der
Schneedecke fast verloren, gingen. Ein Ort der Ruhe, aber
auch einer, der Fragen aufwarf.
Die Beerdigung hatte gerade erst begonnen. Eine
beachtliche Trauergesellschaft stand versammelt, schwarz
gekleidet, die Schulter mit dicken Mänteln gegen die
beißende Kälte gehüllt. Es war ein stilles Begräbnis – keine
Tränen, keine ergreifenden Worte, nur die leise Stimme des
Pfarrers, die sich gegen die eisige Luft stemmte. Ich stand
abseits, nur ein Beobachter, doch die Anspannung lag
schwer auf mir.
Ich ließ meinen Blick über die Anwesenden schweifen. Da
war Margarethe, die Nachbarin des Verstorbenen, eine
ältere Frau mit wachen Augen, die mehr zu wissen schien,
als sie sagte….
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