Sommermärchen

Tourismus ist ja so eine Sache. Offiziell freuen wir uns natürlich über die Gäste, schließlich bringen sie Geld in die Kasse und Lebendigkeit ins Dorf. Man kann sich dann einreden, man lebe in einer begehrten Urlaubsregion und nicht einfach irgendwo im Nirgendwo. Aber sobald der erste Reisebus ausspuckt, was er so geladen hat, kippt die Freude ziemlich schnell ins Kopfschütteln.

Da stapfen sie also durch die Gassen, Handy fest vor die Nase geschraubt, filmen Mauern, Fenster, Kühe und Menschen, als wären wir allesamt Statisten in ihrem persönlichen Heimvideo. Man wird unfreiwillig zur Kulisse degradiert, und wehe, man wagt es, nicht in die Kamera zu lächeln – dann landet man als „typischer, unfreundlicher Einheimischer“ irgendwo in den sozialen Medien.

Besonders beliebt sind auch die spontanen Badeeinlagen. Kaum ein Brunnen, kein Bach, kein Tümpel bleibt verschont. Shirts aus, Hosen runter, ab ins Wasser – mitten im Dorf, versteht sich. Wer braucht schon ein Freibad, wenn man die Dorfmitte in eine Mischung aus FKK-Strand und Kneipp-Kur verwandeln kann. Und während die Touristen plantschen, stehen wir Einheimischen daneben und überlegen, ob wir vielleicht Eintritt verlangen sollten, damit sich der Anblick wenigstens lohnt.

Natürlich wäre ohne die Besucher weniger los, weniger Umsatz, weniger Trubel. Aber manchmal wünscht man sich eben, dass Gäste sich wie Gäste benehmen und nicht wie Besitzer eines Freiluft-Freizeitparks. Dass man durch sein eigenes Dorf laufen kann, ohne dauernd in fremde Handykameras zu geraten, und ohne das Gefühl, gleich stolpernd über eine halbnackte Urlaubergruppe zu fallen, die gerade „authentisches Landleben“ nachspielt.

So pendeln wir zwischen Höflichkeit und genervtem Augenrollen, zwischen „Herzlich willkommen“ und „bitte gehen Sie weiter“. Der Tourismus ist unser Sommermärchen – mit der Betonung auf Märchen. Denn die Idylle, die im Prospekt steht, die gibt es wirklich. Nur sieht man sie halt erst wieder, wenn die Busse abgerollt sind.

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