Mehlklöße mit Weinsosse

Ich liebe es… weiße weiche Klöße fluffig mit Speck und Butter …

Oder Mehlklöße mit süßer Weinsauce. Sie sind kein hübsches Essen, aber ein Stück Kultur. Das ist Tellerwärme aus einfachen Sachen: Mehl, Eier, Milch, Zucker, ein bisschen Wein und Vanille. Mehr braucht es nicht, um aus einem klebrigen Etwas, etwas halbwegs Freundliches zu machen.

Das ist kein Foodtrend, das ist Kindheit. Ob sie perfekt rund sind, also bei mir sind es eher wolkige Nocken, interessiert niemanden. Hauptsache, sie schwimmen, saugen die Sauce auf und man hat hinterher dieses leicht erschlagene, aber zufriedene „Ich mag mich jetzt kurz nicht mehr bewegen“-Gefühl.

Wer also Mehl im Schrank hat und ein paar Eier, braucht keinen Lieferservice. Nur einen Topf, einen Löffel (wobei ich den Teig mit einem Schaber in Stücke schneide) und ein bisschen Mut zum Klumpenrisiko.

Mehlklöße – Grundrezept

für ca. 4 ( bei Teenagern nur 2) Portionen

Variante A – mit Self-Rising Flour

250 g self-rising flour 2 Eier (Größe M) ca. 150–200 ml Milch ½ TL Salz

Variante B – deutsche Version mit Backpulver

250 g Weizenmehl (Type 405 oder 550- es geht auch Patisserie Mehl dann werden sie wie Wolken) oder eher festes Mehl, ganz nach Geschmack) 1½ TL Backpulver ½ TL Salz 3 Eier ca. 150 ml Milch, hier beim Zufügen auf die Konsistenz achten.

Geht übrigens auch glutenfrei- dann aber mehr Eier und weniger Wasser .

Zubereitung:

Teig rühren Variante A: Self-rising flour und Salz mischen. Variante B: Mehl, Backpulver und Salz mischen. Eier dazugeben, einen Teil der Milch unterrühren, dann nach und nach so viel Milch zugeben, bis ein zäher Teig entsteht, der langsam vom Löffel fällt. Teig ruhen lassen 5–10 Minuten stehen lassen. Klöße garen Großen Topf mit Salzwasser zum Kochen bringen, dann auf leichtes Simmern stellen. Mit zwei Teelöffeln kleine Nocken abstechen und ins Wasser gleiten lassen. Garen, bis sie an die Oberfläche steigen, dann noch ca. 2–3 Minuten ziehen lassen (insgesamt etwa 8–10 Minuten). Mit der Schaumkelle herausheben und sofort mit süßer Weinsauce servieren.

Weinsosse:

Süsse Weinsauce mit Ei, Wein und Vanille

(ohne Sahne – optional mit kleinem Milchschuss)

für ca. 4 Portionen

Zutaten:

250 ml Weißwein (halbtrocken oder lieblich) 2–3 Eier (2 ganze Eier oder 3 Eigelb – Eigelb macht’s cremiger) 70–90 g Zucker (je nach Süße des Weins) 1 Päckchen Vanillezucker oder ½ Vanilleschote (Mark) 1 Prise Salz optional: 2–3 EL Milch oder Wasser optional: 1 TL Speisestärke (für mehr Stand)

Zubereitung

Wein erhitzen Weißwein mit Vanille (und ggf. 2–3 EL Milch oder Wasser) in einem Topf kurz erhitzen, nicht kochen. Beiseite ziehen. Eier-Zucker-Masse Eier (oder Eigelb) mit Zucker, Vanillezucker (falls noch nicht im Topf), Salz und ggf. Speisestärke in einer Schüssel glatt rühren. Temperieren Unter Rühren nach und nach etwas von der warmen Weinmischung zur Eiermasse gießen, damit das Ei sich an die Wärme gewöhnt. Zurück in den Topf Alles zurück in den Topf geben und bei niedriger bis mittlerer Hitze ständig rühren (oder über dem Wasserbad). Erhitzen, bis die Sauce leicht andickt und cremig wird – sie darf nicht kochen, sonst flockt sie. Abschmecken Probieren: zu wenig süß → mehr Zucker zu weinlastig → ein Schluck Wasser oder Milch unterrühren

Direkt warm über Mehlklöße gießen – fertig.

Das „Männerproblem“

Femizide: Haben wir ein Männerproblem – oder ein Kulturproblem?

Das Thema liegt auf dünnem Eis. Femizide – also die Tötung von Frauen durch (Ex-)Partner oder andere Angehörige – sind kein abstraktes Schlagwort, sondern etwas, das in Polizeiberichten, Nachrichten und Lebensgeschichten vorkommt. Auch in meinen Texten. Und genau deshalb ist die Versuchung groß, die eine einfache Erklärung zu suchen: „Wir haben ein Männerproblem.“ Oder: „Wir haben ein Ausländerproblem.“ Beides klingt klar, beides ist politisch gut verwertbar – und beides greift zu kurz.

Fangen wir mit dem Unstrittigen an: Ja, die Täter sind überwiegend Männer. In Deutschland wurden 2023 laut BKA 155 Frauen von ihrem (Ex-)Partner getötet, 2024 waren es 132. In der großen Mehrheit der Fälle sind die Tatverdächtigen männlich.bpb.de+2UN Women Deutschland+2 Das ist kein Zufall, sondern hat mit Macht, Kontrolle, Rollenbildern und der Art zu tun, wie vielen Jungen und Männern bis heute beigebracht wird, mit Konflikten umzugehen.

Die zweite, unangenehme Debatte dreht sich um Herkunft. In Talkshows und Kommentarspalten taucht regelmäßig die Behauptung auf, „80 Prozent“ der Täter seien Ausländer. Das klingt dramatisch, hat aber ein Problem: Es stimmt so nicht.

Schauen wir in die Statistiken statt in die Bauchgefühle:
Bei der großen Fallgruppe „Häusliche Gewalt“ lag der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen 2023 bei rund 36–37 Prozent, der Rest sind deutsche Staatsangehörige.KIKO Development In einer Auswertung zu Femiziden wird für eine untersuchte Fallgruppe von Tötungen an Frauen ein Anteil von etwa zwei Dritteln tatverdächtiger Männer mit deutscher Staatsangehörigkeit genannt.landtag.sachsen-anhalt.de Auch Medienanalysen kommen auf Größenordnungen von etwa einem Drittel nichtdeutscher Tatverdächtiger bei Partnerschaftsgewalt und sexualisierter Gewalt.bpb.de

Übersetzt:
Die Mehrheit der Täter ist deutsch. Der Anteil nichtdeutscher Täter ist höher, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht – aber von „80 Prozent Ausländer“ sind wir weit entfernt. Die Realität ist komplizierter.

Heißt das, Kultur spielt keine Rolle? Natürlich spielt sie eine Rolle. Aber „Kultur“ ist mehr als Nationalflaggen. Es geht um erlernte Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, um Ehrvorstellungen, um die Frage, ob eine Frau als eigenständiger Mensch gesehen wird – oder als Besitz. Solche Muster gibt es in bestimmten migrantischen Milieus, aber genauso in urdeutschen Stuben, auf dem Dorf wie in der Stadt. Und ja: Wer aus Kriegs- und Krisenregionen kommt, bringt manchmal autoritärere Familienmodelle mit. Wer in engen Wohnungen, unter Druck, mit wenig Perspektiven lebt, hat ein höheres Risiko für Gewalt. Aber das ist eine Mischung aus sozialen, psychologischen und kulturellen Faktoren – kein Blutgruppenproblem.

Wenn wir sagen: „Wir haben ein Männerproblem“, tun wir so, als wären alle Männer potenzielle Täter. Das ist Unsinn und hilft niemandem. Wenn wir sagen: „Wir haben ein Ausländerproblem“, tun wir so, als sei der deutsche Täter die Ausnahme und der ausländische die Regel. Auch das ist falsch – und lenkt nebenbei vom eigenen Misthaufen ab.

Vielleicht ist die ehrlichere, unbequeme Variante:
Wir haben ein Gewaltproblem in Beziehungen.
Wir haben ein Rollenbildproblem.
Wir haben ein Hilfesystemproblem (zu wenige Frauenhäuser, zu wenig Beratung).
Und ja, wir haben ein Integrationsproblem dort, wo Menschen mit sehr starren Geschlechterbildern auf eine Gesellschaft treffen, die offiziell Gleichberechtigung predigt, sie aber im Alltag oft genug selbst nicht lebt.Institut für Menschenrechte+1

Dazu gehört auch, dass bestimmte Gruppen statistisch auffallen. Das darf man sagen – aber man muss sich dann auch die Mühe machen, nach Ursachen zu fragen: Altersstruktur (viele junge Männer), Armut, Sprachbarrieren, Traumatisierung, fehlende Angebote, rassistische Ausgrenzung, die wiederum Frust produziert. Wer von „Kulturproblem“ redet, sollte bereit sein, diesen ganzen Komplex mitzumeinen – nicht nur die bequeme Schlagzeile.

Und noch etwas: Keine einzige Frau wird dadurch lebendig, dass wir Statistiken gegeneinander in Stellung bringen – „unsere“ Opfer gegen „deren“ Täter oder umgekehrt. Was hilft, sind funktionierende Schutzmechanismen, konsequente Strafverfolgung, eine ernst gemeinte Finanzierung von Beratung und Prävention und eine ehrliche Diskussion über Männlichkeitsbilder, die ohne Ideologie auskommt.bka.de+1

Ich schreibe über Gewalt gegen Frauen, weil es real ist – nicht, um eine bestimmte Gruppe zum Feindbild zu machen. Wenn wir über Femizide reden, sollten wir genau hinsehen: auf Muster, Strukturen, Biografien. Pauschale Sätze wie „Wir haben ein Männerproblem“ (jüngst auf Plakaten im D-Land) oder „Wir haben ein Ausländerproblem“ sind in erster Linie eins: zu billig für das, worum es geht.

Deutschland hat eine Regierung, die das ignoriert und abgelutschte Phrasen benutzt, um die Öffentlich-Rechtlichen zu füttern. Männer, die viel Geld verdienen und eine gute Bildung besitzen, haben meistens auch nette Partnerinnen, oder einen guten Friseur… (:-)

Generalstreik in Belgien

In Belgien ist wieder Streik, und zwar nicht so ein kleiner „da fällt halt mal ein Bus aus“, sondern drei Tage am Stück, mit Ansage. Vom 24. bis 26. November legen nacheinander Bahn, öffentlicher Dienst und dann praktisch das ganze Land los – die großen Gewerkschaften haben sich auf eine Art Mini-Generalstreik verständigt, um der Bundesregierung zu zeigen, dass die ständigen Sparrunden und „Reformen“ nicht mehr einfach geschluckt werden. Im Alltag fühlt sich das so an: Busse streiken, Lehrer streiken, Müllabfuhr streikt, in Brüssel der Flughafen sowieso, und man selbst steht dazwischen und versucht, den Tag irgendwie organisiert zu bekommen. Die Bahn fährt nur eingeschränkt, viele Bus- und Tramlinien fallen aus oder fahren „wenn Personal da ist“, Schulen sind je nach Region offen, halb offen oder praktisch zu, und wer fliegen wollte, merkt plötzlich, dass Abflugzeiten in Belgien eher Vorschläge als feste Zusagen sind. Wir im Grenzgebiet haben dabei noch einen kleinen Vorteil: Wenn hier nichts mehr fährt oder der belgische Flughafen streikt, können wir immer noch auf Luxemburg ausweichen, von dort aus weiterreisen oder fliegen und uns so ein bisschen Bewegungsfreiheit zurückholen, während im Rest des Landes alles hängt. Natürlich gibt es Gründe: Die Gewerkschaften protestieren gegen Sozialabbau, Druck im öffentlichen Dienst, Stress im Gesundheitswesen, Kürzungen bei Renten und Löhnen, kurz: dagegen, dass immer bei denen gespart wird, die Schichten schieben, Kinder unterrichten, Patienten versorgen oder Busse fahren, während an anderer Stelle mit großen Zahlen jongliert wird. Man kann gleichzeitig genervt sein, weil man nicht zur Arbeit kommt oder Termine platzen, und trotzdem verstehen, warum Leute sagen: so geht es nicht weiter. Man kann die Aufrufe der Gewerkschaften lesen und innerlich zustimmen – und gleichzeitig fluchen, wenn man zum dritten Mal eine Alternative zum ausgefallenen Bus basteln muss. Belgien ist Streik gewohnt, aber wenn an drei Tagen in Folge gefühlt alles steht, merkt man sehr deutlich, wie abhängig dieses Land von all denen ist, die sonst einfach still ihren Job machen. Vielleicht ist genau das die eigentliche Botschaft dieses Streiks: nicht, dass alles lahmgelegt wird, sondern dass sichtbar wird, wer den Laden normalerweise am Laufen hält.

Textauszug aus „Dreizehnter März“

Von Sabine Dahnke

An dem Tag, an den ich oft zurückdenke, bestand mein Lebensplan aus genau drei Dingen: ein ganzes Hähnchen, zwei nackte Füße und der Versuch, beides irgendwie mit Würde zu verbinden.

Die Küche war zu klein für große Gesten. Die Fliesen unter meinen Füßen hatten diesen kühlen, leicht klebrigen Charakter von Mietwohnungen, die schon mehrere Leben gesehen haben, und ich stand barfuß mitten in einer Mischung aus Olivenöl, Knoblauchduft und Radiogedudel, die so tat, als wäre das hier eine Kochshow und nicht einfach nur mein Dienstagabend. Auf der Arbeitsplatte lag das Hähnchen, leicht beleidigt wirkend, daneben eine Schüssel mit Marinade, in der die Kräuter aussahen, als würden sie noch einmal um Bedenkzeit bitten.

„Du weißt schon, dass du barfuß kochst?“, sagte Adi aus dem Türrahmen heraus. Er lehnte dort wie bestellt und nicht abgeholt, Kaffee in der Hand, Oberkörper im Flur, Füße schon halb im Wohnzimmer, als traue er sich nicht richtig in die heilige Zone der rohen Geflügelteile.

„Spürst du die Bodenhaftung?“, erwiderte ich und drückte mit den Fingern die Zitronenhälften über dem Hähnchen aus. „Das ist Mindfulness. Boden und ich, wir arbeiten zusammen.“

Er musterte meine Füße, dann das Hähnchen, dann wieder mich. „Weißt du, was dein Problem ist?“, fragte er in diesem Ton, der immer ankündigte, dass jetzt etwas kommt, was gleichzeitig albern und nicht ganz falsch ist. „Du verkaufst dich völlig unter Wert.“

Im Radio lief irgendein Ratgeber-Beitrag über Bewerbungsgespräche und Zukunft, die in PowerPoint-Folien passt. Gerade zählte eine überengagierte Stimme die wichtigsten Hard Skills auf, die man mitbringen müsse, um im Berufsleben zu bestehen. Excel, Sprachen, Teamfähigkeit, blabla. Ich schob das Hähnchen ein Stück, damit die Marinade besser in die Haut lief, und dachte, dass niemand je von mir verlangt hatte, ein ganzes Leben in Stichpunkten auf eine DIN-A4-Seite zu pressen, bis diese Stimmen im Radio auftauchten.

„Aha“, sagte ich. „Und was genau ist jetzt mein unterschätzter Marktwert?“

Adi hob den Zeigefinger, als halte er gleich einen Vortrag. „Hard Skills“, sagte er. „Die reden da immer von Hard Skills. Und weißt du, was ein echter Hard Skill ist?“
Er machte eine kleine Pause, trank einen Schluck Kaffee und grinste. „Barfuß Hähnchen braten. Das kann nicht jeder.“

Ich lachte, und während ich lachte, rutschte ein Tropfen Öl von meinem Handgelenk Richtung Ellenbogen. Ich sah ihm zu, wie er sich seinen Weg bahnte, und dachte, dass es vielleicht stimmt: Es gibt Fähigkeiten, die in keiner Bewerbung auftauchen, obwohl sie das halbe Leben zusammenhalten. Zum Beispiel, ein Hähnchen mit einer Hand festzuhalten, ohne es fallen zu lassen, während man mit der anderen den Ofen öffnet und gleichzeitig versucht, nicht auf die Knoblauchzehe zu treten, die einem vorhin vom Brett gerollt ist.

„Schreib das mal in deinen Lebenslauf“, fuhr Adi fort. „Kenntnisse: Französisch, Deutsch, Englisch – barfuß Hähnchen braten. Fortgeschritten.“
„Das ist kein Hard Skill“, sagte ich. „Das ist höchstens ein Soft Skill mit Haut.“
„Quatsch“, meinte er. „Soft Skills sind so Sachen wie nett sein und zuhören. Du hantierst hier mit heißem Fett, rohem Fleisch und nackter Haut. Wenn das kein Hard Skill ist, weiß ich auch nicht.“

Ich schob das Hähnchen in den Ofen, beugte mich vor, spürte die Hitze im Gesicht und das Ziehen in der Wade, weil ich unwillkürlich auf die Zehenspitzen ging. Hinter mir stellte Adi die Tasse ab, ich hörte das leise Porzellanklicken auf der Arbeitsplatte. Als ich mich wieder aufrichtete, stand er plötzlich näher bei mir, nah genug, dass ich seinen Atem in meinem Nacken spüren konnte.

„Außerdem“, sagte er leise, „mag ich es, wenn du barfuß durch die Küche läufst. Das sieht aus, als würdest du bleiben.“

Der Satz erwischte mich an einer Stelle, von der ich bis dahin nicht wusste, dass sie existiert. Bleiben. Als wäre das eine entscheidenede Qualifikation, die irgendwo hinter Sprachkursen und EDV-Kenntnissen in Klammern auftaucht: neigt zum Bleiben. Ich stützte mich mit einer Hand am Ofen ab, um in dieser plötzlichen Schwerkraft nicht nach hinten zu kippen.

„Das ist kein Skill“, murmelte ich. „Das ist ein Risiko.“
„Die besten Skills sind immer ein Risiko“, antwortete er. „Frag mal dein Hähnchen.“

Wir schwiegen, nur der Ofen begann leise zu rauschen, und der erste, sehr vorsichtige Bratenduft kümmerte sich darum, die Küche in etwas zu verwandeln, das man später Erinnerung nennen kann. Adi schob mit seinem Fuß meinen Pantoffel zur Seite, als wäre er ein Hindernis auf einer Bühne, die frei bleiben sollte.

„Also gut“, sagte ich schließlich. „Hard Skills: barfuß Hähnchen braten. Soft Skills: nicht weglaufen, wenn der Rauchmelder losgeht.“
Adi nickte zufrieden. „Siehst du. Und irgendwo dazwischen“, er beugte sich runter und strich mit der Hand kurz über meinen Knöchel, „steht dann noch: liebt den Mann, der ihr das eingeredet hat.“

Der Radiobeitrag war längst beim Thema „Selbstoptimierung“ angekommen, die Sprecherin erklärte irgendetwas über Ziele in Fünfjahresplänen. Ich stand mitten in dieser viel zu kleinen Küche, barfuß, mit Hähnchenfett an den Fingern, Adis Hand im Rücken und einem Gefühl im Brustkorb, das in keine Tabelle passte. Ich dachte, ganz kurz, dass ich das alles so, genau so, als Qualifikation behalten wollte: das Stehen auf kalten Fliesen, die Wärme aus dem Ofen, sein Zwinkern, wenn er „Hard Skill“ sagte, als wäre das ein Insiderwitz nur für uns.

Damals ahnte ich noch nicht, wie oft ich später an diesen Moment denken würde, wenn draußen alles nach Kontrolle und Krisenmanagement klang. Ich wusste nur, dass es gerade gut war. Und dass ich, wenn mich jemand gefragt hätte, was ich kann, nicht gelogen hätte mit: „Ach, nichts Besonderes.“

Kein Mitohnesahne-Buch

Die ganze Sache fing mit einem gefährlichen Gedanken an: Was, wenn ich irgendwann dieses eine Mitohnesahne-Buch schreibe, nach dem eigentlich Schluss sein müsste? Nicht mit dem Leben, keine Panik, sondern mit dem Versuch, das alles literarisch immer noch ein Stück zu toppen.

Wenn ich ehrlich bin, waren die letzten Bücher, Texte, Blogartikel Fingerübungen. Gute Fingerübungen, manchmal schmerzhaft ehrlich, manchmal überraschend lustig dafür, was sie so beschrieben haben – aber eben doch: Proben. Warmspielen. Wie am Klavier, wenn man noch Tonleitern spielt und so tut, als sei das schon Musik, obwohl das eigentliche Stück erst noch kommt. So waren Klinikflure, Kaffeemaschinen, Eifeldorf-Alltag, Trennung, Krankheit, dieser ganze Wahnsinn – alles Material, mit dem ich üben durfte: Schmerz aufschreiben, ohne in Kitsch zu kippen. Wut in Sätze pressen, ohne einfach nur zu brüllen. Alltag so erzählen, dass klar ist: Das ist mein Ernst, und trotzdem darf gelacht werden.

Und irgendwo zwischen Wartezimmer, Küchenstuhl und viel zu vollem Kopf tauchte er dann auf, dieser Satz, der sich ein bisschen anfühlt wie ein zu großes Hemd: Was, wenn ich jetzt ein Mitohnesahne-Buch schreibe, das so ehrlich, so klar, so ich ist, dass danach nichts mehr drüber geht? Kein „größer“, kein „noch dramatischer“, kein „noch trauriger“, sondern einfach: das Ding. Der Endgegner unter den Büchern. Ohne Zuckerguss, ohne Trostpflaster am Ende, mit Humor an Stellen, an denen man normalerweise betreten schweigt, mit Szenen, die so real sind, dass man sie beinahe riecht, und mit dieser unverschämten Ehrlichkeit, die sagt: So war es. Du musst das nicht mögen, aber wegsehen ist jetzt schwierig.

Genau da wird es heikel. Denn sobald man so denkt, sitzt einem die nächste Frage im Nacken wie ein schlecht gelaunter Verlagslektor: Und was kommt dann danach? Noch mehr Drama? Noch mehr Tränen? Noch mehr „fast gestorben, aber toll daran gewachsen“? Ganz ehrlich: halb sterben kann man nicht jedes Mal. Weder im Leben noch im Schreiben. Es gibt nur eine begrenzte Anzahl Tage, an denen man wirklich am Rand steht. Den Rest der Zeit versucht man, halbwegs geradeaus zu gehen, die Kinder rechtzeitig zur Schule zu bringen und den Kaffee nicht schon kalt zu trinken, bevor man die erste Seite schafft.

An dieser Stelle taucht Benjamin von Stuckrad-Barre in meinem Kopf auf wie jemand, der zu spät zur eigenen Lesung kommt, sich aber hinsetzt, eine Kippe dreht und trotzdem die besten Sätze des Abends liefert. Ich mag an ihm, dass er über Abgründe schreibt, ohne sie zu dekorieren. Dass er sich selbst nicht als Held inszeniert, sondern als Teil des Problems. Dass man bei ihm lachen muss, während einem gleichzeitig etwas im Hals stecken bleibt. Und dass er das Hässliche, Peinliche, Schmerzliche nicht wegpackt, sondern ernst nimmt – ohne es zu verklären. Diese Haltung liebe ich: dieses „Hier, so ungefähr war’s. Mehr kriegst du nicht. Weniger aber auch nicht.“

Für ein großes Mitohnesahne-Buch wäre genau das die Blaupause, nicht im Sinne von Stilkopie, sondern als innere Erlaubnis. Kein Glitzer, kein Coaching-Ton, kein „Und am Ende hatte alles einen tieferen Sinn“. Eher so: Es war schlimm, es war schön, es war absurd, es war echt – und ich schreibe es auf, weil es sonst niemand tut. Und doch merke ich, wie falsch es ist, in Kategorien wie „Toppen“ zu denken. Das ist etwas für Achterbahnen, Horrorfilme und irgendwelche Leute, die jedes Jahr „noch krasser abgenommen“ haben wollen. Aber nicht für Literatur, die in der eigenen Blutbahn spielt.

Vielleicht ist das eigentliche Ziel gar nicht, ein Buch zu schreiben, das man nicht toppen kann, sondern eines, das man nicht toppen muss. Ein Buch, das so nah an der Wahrheit sitzt, dass danach nichts mehr höher muss, nur noch anders. Und bis dahin bleiben die Fingerübungen. Bücher, Blogtexte, Grenzlandgeschichten, Eifelminiaturen, Küchentisch-Szenen, Café-Beobachtungen, kleine Dialoge im Vorbeigehen. Alles Material, das die Hand lockert und den Mut sammelt.

Vielleicht wird dieses große Mitohnesahne-Buch irgendwann tatsächlich geschrieben. Vielleicht merke ich es beim Schreiben gar nicht, sondern erst, wenn es im Regal steht und leise sagt: So. Das bin jetzt ich. Danach muss nichts mehr lauter, nur noch wahr. Bis dahin schreibe ich weiter: mit halben Wahrheiten, die immer ganzer werden, mit Humor an Stellen, an denen man angeblich nicht lachen darf, und mit Sätzen, die sich langsam nach diesem einen Buch vortasten, von dem man ahnt, dass man es nicht toppen könnte – und es genau deshalb irgendwann schreiben sollte.

Mein 2. Exmann sollte aber jetzt schon mal für den Anwalt sparen. Oder wahlweise endlich den altersgerechten Unterhalt zahlen…Lächel…

Warum es jetzt doch ein eBook gibt – und warum erst ab dem 13.12.

Ursprünglich war „Dreizehnter März – Der Tag, an dem alles blieb“ nur als Taschenbuch geplant. Viele Rückmeldungen haben aber gezeigt, dass sich einige von euch eine digitale Ausgabe wünschen – zum Lesen unterwegs, mit vergrößerter Schrift oder einfach, weil ihr euren Reader bevorzugt.

Deshalb gibt es nun doch ein eBook.

Der Veröffentlichungstermin 13.12. ist bewusst gewählt:
Zum einen brauche ich die Zeit, um die digitale Ausgabe sauber zu formatieren und zu prüfen, damit der Text auf verschiedenen Geräten wirklich gut lesbar ist. Zum anderen passt das Datum inhaltlich und atmosphärisch gut zu diesem Buchprojekt – es soll nicht „irgendwann“, sondern zu einem festgelegten Tag erscheinen.

Bis dahin kann das eBook bereits vorbestellt werden. Wer jetzt bestellt, bekommt es am 13.12. automatisch auf den Reader geliefert und kann pünktlich zum Erscheinungstag mit dem Lesen beginnen.

Hier geht es zur Vorbestellung bei Amazon:
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Triggerwarnung

Gut, heutzutage muss man sich ja immer dreifach absichern. Deswegen:

Triggerwarnung:

In diesem Text (das Buch „Dreizehnter März) geht es um schwere Krankheit, Klinik, Abschied und Trauer. Bitte lies nur weiter, wenn du dich emotional stabil genug fühlst.

Davon abgesehen ist es schon erhältlich, weil irgendwie wieder jemand nicht lesen konnte. Lach.

Es enthält auch seine Handschrift… die ISBN Nummer, die mir zufällig zugeteilt wird, bestehen aus unseren Geburtsdaten. Ist das nicht etwas gruselig? Es ist schön zu wissen, dass man niemals ganz vergessen wird.

Übrigens wird das eBook später erscheinen und nicht kostenlos über Kindle erhältlich sein (denn ich erhalte davon keine Tantiemen)- ich werde einen Teil der Einnahmender Krebshilfe stiften. Ich hoffe auf Euer Verständnis.

https://amzn.eu/d/bX2YstT

Mein neues Buch erscheint am 13.12.

„Dreizehnter März“ – ein kleiner Appetizer

Es gibt Tage, die reißen einfach ein Loch in die Zeit. Davor ist Alltag, Einkaufszettel, Brotdosen, WhatsApp-Gruppen. Danach ist alles noch da – dieselben Häuser, dieselben Menschen – und trotzdem passt nichts mehr richtig ineinander. Genau um so einen Tag geht es in meinem neuen Buch „Dreizehnter März – Der Tag, an dem alles blieb“.

Ich habe dieses Buch nicht am Schreibtisch geplant, sondern zwischen Klinikfluren, Eifelhimmel und den winzigen Inseln dazwischen: einer Bank am Maar, einem Kaffee in St. Vith, einer zu engen Maske im Gesicht und diesem eigentümlichen Gefühl, gleichzeitig Mutter, Besucherin, Ehefrau, Patientin im falschen Körper und Protokollführerin des eigenen Lebens zu sein. Der dreizehnte März ist der Moment, an dem all das einfriert – wie ein Standbild, das man nicht wegklicken kann.

Die Erzählerin sitzt in einem Café, irgendwo zwischen Krankenhausluft und Dorfalltag, und versucht, sich an diesen einen Tag heranzutasten:

an den Geruch von Desinfektionsmittel und Filterkaffee,

an die Vulkaneifel, die an diesem Morgen noch so tut, als sei sie einfach nur schön,

an das Klingeln eines Telefons, das nicht mehr „nur“ ein Telefon ist,

an den Gedanken, dass ein Atemzug vier Takte haben kann – wenn es eng wird.

Es ist kein „Krankenhausdrama“, keine Heldengeschichte und kein Ratgeber. Eher ein leiser Seziertisch für die Frage: Was bleibt eigentlich übrig, wenn ein Mensch, den du liebst, langsam aus dem Leben rutscht, und du noch funktionieren musst – für Kinder, Behörden, Rezepte, Formulare, Wäschekörbe und das berühmte „Weiter“.

Und was passiert mit dir, wenn du es eines Tages nicht mehr tust.

Wer hier regelmäßig mitliest, kennt meine Mischung aus MitohneSahne: ein bisschen Humor, ein bisschen Sarkasmus, viel Realität – nur diesmal ohne Rezept am Ende, dafür mit einem Tag, der alles in Davor und Danach sortiert. „Dreizehnter März“ ist mein Versuch, diesen Tag festzuhalten, ohne ihn zu verklären, und trotzdem Platz zu lassen für das, was leise tröstet: kleine Momente, schiefe Witze im falschen Augenblick, die Eifel, die stur weiteratmet.

Wenn du Geschichten magst, die nicht laut sind, aber lange nachklingen –

die eher wie ein dunkler Kaffee sind als wie eine bunte Torte –,

dann könnte dieses Buch etwas für dich sein.

„Dreizehnter März – Der Tag, an dem alles blieb“ erscheint am 13.12.

Bis dahin erzähle ich hier auf dem Blog ein bisschen aus der Entstehung, lasse dich in mein Café mit hinein und vielleicht auch an ein, zwei Seiten teilhaben.

Ohne Happy-End-Garantie.

Aber mit genug Wahrheit, dass man sie nur in dünnen Scheiben lesen sollte.

Der Brief

Die Frage eines Freundes heute Morgen per WhatsApp:

Mein Sohn macht sich Sorgen wegen „des Briefes“ was soll ich ihm sagen?

Er, selbst noch Reservist hat die ganze Zeit nicht daran geglaubt, dass sie tatsächlich nun einfordern.

Ich schrieb:

Das ganze patriotische Gelaber wird jetzt Realität, und diese neue Generation ist stark und schlau – das sind keine dummen Klimakleber, sondern wache, mit Strategiespielen aufgewachsene Kids, mit KI im Rücken. Sie stoßen die Politik auf ihre Lügen und wollen Erklärungen, aufgeklärt durch Filme und Endzeit-Szenarien. Die wenigsten lassen sich verarschen. Und es sind immer noch nur Kinder, die manchmal einen „Gutenachtkuss“ wollen. Mit aufgeklärten Müttern, clever und stark wie Löwinen. Die bis hierher alles im Griff haben.

Mit Müttern, die ihre Brotdosen mit Lach-Smiley-Butterbrot und Karotten gebastelt haben.

Mütter wie ich.

Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin !

https://youtu.be/1q-Ga3myTP4?si=72_uy-qTdpKu0-nq

Verpasst

Die Lücke

Donnerstag, 19:47 Uhr

Er starrte auf sein Handy. Die Nummer war noch da, natürlich war sie noch da. Aber seine Hand bewegte sich nicht.

„Du kommst doch gleich?” Nadias Stimme aus der Küche, freundlich, aber mit dieser Erwartung darin.

„Ja, zwei Minuten.”

Er hatte „Donnerstag, 19:30” in seinen Kalender geschrieben. Früher. Als die Kinder noch klein waren. Mia hatte immer erzählt, was in der Schule passiert war, ohne Punkt und Komma. Und Leon hatte meist nur „gut” gesagt, bis er dann doch anfing, von seinem Minecraft-Projekt zu erzählen.

„Schatz?” Nadia stand jetzt in der Tür. Sie trug dieses blaue Kleid, das er mochte. „Das Essen wird kalt.”

„Komme sofort.”

Sie blieb stehen. „Du wolltest wieder anrufen.”

Es war keine Frage.

„Ich dachte nur—”

„Schatz.” Sie setzte sich neben ihn auf die Armlehne. „Wir hatten darüber gesprochen. Es tut dir nicht gut. Jedes Mal bist du danach für Tage… weg. Und es hilft den Kindern auch nicht, wenn Claudia dann wieder—”

„Ich weiß.”

Und er wusste es wirklich. Die letzten Male. Mias knappe Antworten. Leons Schweigen. Claudias Stimme im Hintergrund: „Ihr müsst jetzt Hausaufgaben machen.” Und dann diese Leere danach, die sich in seiner Brust ausbreitete wie Tinte in Wasser.

„Du siehst sie doch in zwei Wochen,” sagte Nadia leise. „Das ist der bessere Weg. Richtige Zeit zusammen, statt diese… merkwürdigen Telefonate.”

Richtige Zeit. Sechs Stunden alle zwei Wochen. Zoo, Kino, Burger essen. Gespräche, die sich anfühlten wie Vorstellungsgespräche. Wie geht’s in der Schule? Gut. Hast du neue Freunde? Geht so.

„Und du brauchst auch mal Ruhe,” fügte Nadia hinzu. Ihre Hand auf seiner Schulter. „Du kommst hier doch gar nicht mehr an, wenn du ständig dort bist. Innerlich.”

Er nickte. Sie hatte recht. Wahrscheinlich. Seine Therapeutin hatte etwas Ähnliches gesagt. Grenzen ziehen. Loslassen, wo man nicht mehr wirken kann. Sich auf das konzentrieren, was man aufbauen kann.

19:53 Uhr

Das Handy wurde dunkel. Er stand auf.

In der Küche roch es nach Lasagne. Nadia hatte Kerzen angezündet. Sie war bemüht. Wirklich bemüht. Das neue Leben, das sie zusammen aufbauten, es war gut. Meistens. Ruhig. Erwachsen.

„Riecht super,” sagte er.

Sie lächelte, erleichtert.


Zwei Jahre später

Mia war vierzehn geworden. Er hatte es von Claudias Mutter erfahren, die ihm eine knappe WhatsApp geschrieben hatte. Nicht eingeladen zur Feier. Zu kompliziert, hatte es geheißen.

„Du hättest trotzdem anrufen können,” sagte sein Bruder am Telefon.

„Nadia meint—”

„Nadia ist nicht deren Vater.”

Aber er hatte nicht angerufen. Weil Nadia mit diesem besorgten Blick gefragt hatte: „Willst du dir das wirklich antun?” Weil er sich die Zurückweisung nicht noch einmal abholen wollte.

Drei Jahre später

Leon hatte aufgehört, zu den Besuchsterminen zu kommen. Einfach so. Die SMS kam von Claudia: Er will nicht mehr. Lass ihm Zeit.

Mia kam noch. Manchmal. Aber sie war anders. Verschlossen. Ihr Handy immer in der Hand, als wäre es eine Rettungsleine.

„Wie ist es in der Schule?”

„Gut.”

„Erzählst du mir—”

„Papa, ich hab nicht so viel Zeit heute. Mama holt mich um vier ab.”

Es war halb zwei.

Zu Hause erzählte er Nadia davon. Sie strich ihm über den Rücken.

„Vielleicht ist es besser so,” sagte sie leise. „Für alle. Teenager brauchen Distanz. Und du… du kannst endlich durchatmen.”

Sieben Jahre später

Mia war zweiundzwanzig. Er wusste es, weil er den Kalender noch führte. Alle Geburtstage eingetragen. Alle wichtigen Daten.

Er hatte ihr zum Achtzehnten geschrieben. Keine Antwort.

Zum Neunzehnten. Zwanzigsten. Einundzwanzigsten.

Irgendwann hatte er aufgehört.

Leon hatte er seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Auf Instagram postete er Fotos von Reisen, vom Studium, von Freunden. Sein Profil war öffentlich, aber er hatte die Freundschaftsanfrage nie bestätigt.

„Du musst loslassen,” sagte Nadia. Sie sagte es nicht mehr vorwurfsvoll. Nur noch matter. Als wäre sie selbst müde geworden von diesem Thema.

„Sie sind meine Kinder.”

„Sie waren deine Kinder.”

Und zum ersten Mal sah er in ihren Augen etwas, das wie Verachtung aussah.

Neunzehn Jahre später

Die Einladung kam per Post. Steife, cremefarbene Karte mit goldenen Buchstaben.

Mia Bergmann & Jonas Keller
laden zur Hochzeit ein

Sein Name stand nicht auf der Liste der Trauzeugen. Nicht unter den Rednern. Nur in der allgemeinen Einladung, höflich und distanziert.

Er saß im Café gegenüber der Kirche. Durch das Fenster sah er sie ankommen. Mia im weißen Kleid, strahlend. Leon in einem Anzug, größer als er ihn in Erinnerung hatte. Claudia mit ihrem Mann, der Mias Arm hielt, bevor er sie dem Bräutigam übergab.

Er hätte reingehen können. Die Einladung lag in seiner Tasche.

Aber er wusste: Er war dort nicht willkommen. Nicht wirklich.

Nadia war vor drei Jahren gegangen. Ohne Drama. Ohne Erklärung. Nur ein Brief auf dem Tisch: Ich kann nicht mehr zusehen, wie du dich selbst zerstörst. Sie hatte einen anderen Mann. Schon seit Jahren, er wollte es nicht sehen, wie so viele Dinge.

Das Haus war leer verkauft worden. Das Geld aufgeteilt. Sie hatte nie wieder geschrieben.

Siebenundzwanzig Jahre später

Die Nachricht kam von einer Nummer, die er nicht kannte.

Hallo. Hier ist Leon. Mia meinte, ich soll dir Bescheid geben: Sie hat letzte Woche einen Sohn bekommen. Ihm geht es gut.

Er starrte auf die Worte. Ein Enkel. Er war Großvater.

Seine Hände zitterten, als er zurückschrieb: Das ist wunderbar. Wie heißt er? Kann ich ein Foto sehen?

Die Antwort kam nach zwei Tagen.

Paul. Nein, besser nicht. Mia will ihre Ruhe.

Keine Erklärung. Keine Tür, die sich öffnete.

Nur diese Mauer, die über all die Jahre gewachsen war. Stein für Stein. Donnerstag für Donnerstag. Jedes Mal, wenn er nicht angerufen hatte.

Heute

Er saß am Fenster seiner kleinen Wohnung. Siebzig Jahre alt. Allein.

Auf dem Handy scrollte er durch alte Fotos. Mia mit vier Jahren auf seinen Schultern. Leon, wie er seine ersten Schritte machte.

Gesichter, die er kannte. Menschen, die ihn vergessen hatten.

Seine Kinder hatten nicht verstanden. Konnten nicht verstehen.

Für sie war er der Vater, der nicht anrief. Der nicht kam. Der an Geburtstagen schwieg und an Weihnachten nicht da war.

Dass Nadia ihm jeden Anruf ausgeredet hatte – das hatten sie nie erfahren. Das konnte er ihnen nicht erklären, ohne wie eine Ausrede zu klingen.

Dass er geglaubt hatte, er würde das Richtige tun, indem er Frieden wahrte, indem er nicht störte, indem er auf bessere Zeiten wartete – das zählte nicht.

Am Ende zählte nur: Er war nicht da gewesen.

Und irgendwann hatten sie aufgehört, auf ihn zu warten.

Er hätte kämpfen müssen. Gegen Nadia. Gegen Claudia. Gegen seine eigene Müdigkeit.

Aber er hatte es nicht getan.

Und jetzt saß er hier, mit einem Leben voller Rechtfertigungen, die niemand mehr hören wollte.

Draußen wurde es dunkel.

Es war Donnerstag.

19:47 Uhr.

Die Uhrzeit, zu der irgendwo da draußen ein kleiner Junge namens Paul vielleicht gerade ins Bett gebracht wurde. Von einer Tochter, die er verloren hatte. Von Großeltern aus Claudias Familie, die seinen Platz eingenommen hatten.

Von Menschen, die da waren.

Und er verstand endlich: Man verliert seine Kinder nicht in einem Moment.

Man verliert sie in tausend kleinen Momenten, in denen man nicht kämpft.

In denen man der falschen Person glaubt, dass Schweigen besser sei als Liebe, die unbequem ist.

Die Erkenntnis kam zu spät.

Sie kam immer zu spät.

Waffenstillstandstag

Heute ist in Belgien ein stiller Feiertag – kein Nationalfeiertag im eigentlichen Sinn (der ist am 21. Juli), aber ein offizieller Gedenktag: der Waffenstillstand vom 11. November 1918.

Man merkt es daran, dass vieles langsamer läuft: Banken und Behörden bleiben zu, viele Geschäfte haben verkürzte Öffnungszeiten, an manchen Denkmälern liegen frische Kränze. Kein großes Feuerwerk, keine Volksfeste – eher ein kurzes Innehalten im Alltag.

Kein deutscher Karneval, kein Tamtam und Alkoholkoma. Nichts davon.

In einem Land, das so dicht an den ehemaligen Frontlinien liegt, ist dieser Tag mehr als ein freier Tag im Kalender. Er erinnert daran, wie schnell Grenzen, Felder und Dörfer zu Schauplätzen werden können, und wie fragil das ist, was wir heute für selbstverständlich halten: Frieden, Bewegungsfreiheit, ein halbwegs normaler Alltag.

Vielleicht ist das der sinnvollste Teil dieses „Feiertags“: einmal kurz bewusst wahrnehmen, dass es nicht überall auf der Welt so ruhig ist wie an einem grauen Novembermorgen in Belgien – und dass das keine Garantie, sondern ein Zustand ist, den man pflegen muss.

„Der Abgleich“ von Elise d‘Our

Ich möchte mich bei allen bedanken, die „Der Abgleich“ gelesen und eine Rezension geschrieben haben.

Euer Feedback – ob kurz oder ausführlicher – ist nicht selbstverständlich, und ich weiß es sehr zu schätzen, dass ihr euch die Zeit dafür nehmt.

Mir war es in diesem Buch wichtig zu zeigen, wie Bürokratie und die vermeintliche „Passion“, den eigenen Job korrekt zu machen, dazu führen können, dass andere Menschen im übertragenen Sinn „um ihr Leben gebracht“ werden – dass man ihnen Stück für Stück Leben nimmt, ohne Blut, aber mit Akten, Formularen und Entscheidungen am Schreibtisch.

Ich beobachte seit Jahren, dass in Deutschland Mobbing, moralischer Druck und ein Klima des Wegschauens oft fast zum guten Ton gehören – moralisch und ethisch jenseits von gut und böse. Genau dieses Spannungsfeld wollte ich literarisch abbilden: Menschen, die funktionieren, Systeme, die sich selbst schützen – und diejenigen, die darunter zerbrechen.

Die Rückmeldungen zeigen mir, was an dieser Darstellung bei euch ankommt, was euch wütend macht, nachdenklich oder berührt. Das motiviert mich, weiterzuschreiben und die Reihe konsequent auszubauen.

Danke, dass ihr „Der Abgleich“ eine Chance gebt.

Paket- Babel

Der Lieferdienst und ich führen seit Monaten eine Beziehungskrise. Es geht immer um denselben Quadratzentimeter: direkt vor meiner Haustür. Für den Fahrer ist das der perfekte Ort – Paket hin, Foto machen, fertig. Für mich ist es der schlechteste Platz überhaupt: Zugluft, Regen, Straße, freie Sicht für jeden, der zufällig vorbeikommt und sich denkt: „Oh, ein Paket im Freien, wie aufmerksam.“

Nach ein paar durchweichten Kartons und einer Lieferung, die aussah, als hätte ein Traktor sie als Experiment benutzt, war klar: Ich brauche ein Schild. Kein großartiges Designprojekt, einfach nur: Bitte, bitte nicht vor die Tür. Da ich in Belgien lebe, war für mich logisch: mindestens drei Sprachen. Also bastle ich mir ein kleines Grenzland-Schild – Deutsch, Französisch, Niederländisch. Höflich, knapp, sachlich.

Auf Deutsch schreibe ich: Bitte kein Paket vor die Tür legen. Hinter dem Haus unter dem Carport abstellen. Danke. Auf Französisch: Merci de ne pas déposer le colis devant la porte. Derrière la maison, sous le carport, s’il vous plaît. Und auf Niederländisch: Gelieve het pakket niet voor de deur te leggen. Graag achter het huis, onder de carport neerzetten. Dank u.

Das Ganze drucke ich aus, klebe es an die Tür und denke: So, jetzt haben wir das Problem gelöst. Ein bisschen zu optimistisch.

Am nächsten Tag komme ich nach Hause. Da liegt ein Paket. Vor der Tür. So platziert, dass die Kante genau auf dem Wort „nicht“ liegt. Man könnte es als Kommentar verstehen.

Ich passe den Text nochmal an, mache ihn deutlicher, setze gedanklich ein Ausrufezeichen hinter jedes Wort. Wieder drei Sprachen, wieder der gleiche Inhalt. Wieder an die Tür. Nächstes Paket, gleiche Stelle. Es ist fast, als würden die Pakete von diesem Absatz magnetisch angezogen.

Und dann dämmert mir, was ich vergessen habe: Englisch. Ich mit meinen drei Sprachen, sehr stolz auf mein kleines EU-Projekt an der Haustür – und der Fahrer denkt wahrscheinlich in „delivery“ und „parcel“, nicht in „colis“ oder „pakket“. Es ist ein bisschen, als hätte ich eine perfekte Ansage gemacht, nur leider im falschen Radio.

Also gibt es eine letzte Version des Schildes, diesmal mit Vollausstattung.

Deutsch bleibt: Bitte kein Paket vor die Tür legen. Es wird nass, geklaut oder überfahren. Hinter dem Haus unter dem Carport abstellen. Danke.

Französisch bleibt auch: Merci de ne pas déposer le colis devant la porte. Il sera mouillé, volé ou écrasé. Derrière la maison, sous le carport, s’il vous plaît.

Niederländisch ebenso: Gelieve het pakket niet voor de deur te leggen. Daar wordt het nat, gestolen of platgereden. Graag achter het huis onder de carport neerzetten. Dank u.

Und dann kommt der fehlende Puzzlestein dazu, auf Englisch: Please do not leave the parcel in front of the door. It gets wet, stolen or run over. Please leave it behind the house, under the carport. Thank you.

Ich klebe das neue Schild an, nicht mehr ganz so hoffnungsvoll wie beim ersten Mal, mehr so im „Mal sehen, wer diesmal gewinnt“-Modus. An einem der nächsten Tage komme ich nach Hause, laufe automatisch zur Haustür, sehe nichts, gehe ums Haus – und da steht das Paket. Trocken. Unter dem Carport. Unaufgeregt. Genau da, wo ich es seit Monaten haben wollte.

Es lag also nicht an der Höflichkeit, nicht an der Formulierung, nicht an Deutsch, Französisch oder Niederländisch. Es lag daran, dass ich Englisch vergessen hatte. Vier Sprachen später funktioniert es – und mein Türschild hat jetzt offiziell mehr Text als manche Versandbestätigung.