Femizide: Haben wir ein Männerproblem – oder ein Kulturproblem?
Das Thema liegt auf dünnem Eis. Femizide – also die Tötung von Frauen durch (Ex-)Partner oder andere Angehörige – sind kein abstraktes Schlagwort, sondern etwas, das in Polizeiberichten, Nachrichten und Lebensgeschichten vorkommt. Auch in meinen Texten. Und genau deshalb ist die Versuchung groß, die eine einfache Erklärung zu suchen: „Wir haben ein Männerproblem.“ Oder: „Wir haben ein Ausländerproblem.“ Beides klingt klar, beides ist politisch gut verwertbar – und beides greift zu kurz.
Fangen wir mit dem Unstrittigen an: Ja, die Täter sind überwiegend Männer. In Deutschland wurden 2023 laut BKA 155 Frauen von ihrem (Ex-)Partner getötet, 2024 waren es 132. In der großen Mehrheit der Fälle sind die Tatverdächtigen männlich.bpb.de+2UN Women Deutschland+2 Das ist kein Zufall, sondern hat mit Macht, Kontrolle, Rollenbildern und der Art zu tun, wie vielen Jungen und Männern bis heute beigebracht wird, mit Konflikten umzugehen.
Die zweite, unangenehme Debatte dreht sich um Herkunft. In Talkshows und Kommentarspalten taucht regelmäßig die Behauptung auf, „80 Prozent“ der Täter seien Ausländer. Das klingt dramatisch, hat aber ein Problem: Es stimmt so nicht.
Schauen wir in die Statistiken statt in die Bauchgefühle:
Bei der großen Fallgruppe „Häusliche Gewalt“ lag der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen 2023 bei rund 36–37 Prozent, der Rest sind deutsche Staatsangehörige.KIKO Development In einer Auswertung zu Femiziden wird für eine untersuchte Fallgruppe von Tötungen an Frauen ein Anteil von etwa zwei Dritteln tatverdächtiger Männer mit deutscher Staatsangehörigkeit genannt.landtag.sachsen-anhalt.de Auch Medienanalysen kommen auf Größenordnungen von etwa einem Drittel nichtdeutscher Tatverdächtiger bei Partnerschaftsgewalt und sexualisierter Gewalt.bpb.de
Übersetzt:
Die Mehrheit der Täter ist deutsch. Der Anteil nichtdeutscher Täter ist höher, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht – aber von „80 Prozent Ausländer“ sind wir weit entfernt. Die Realität ist komplizierter.
Heißt das, Kultur spielt keine Rolle? Natürlich spielt sie eine Rolle. Aber „Kultur“ ist mehr als Nationalflaggen. Es geht um erlernte Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, um Ehrvorstellungen, um die Frage, ob eine Frau als eigenständiger Mensch gesehen wird – oder als Besitz. Solche Muster gibt es in bestimmten migrantischen Milieus, aber genauso in urdeutschen Stuben, auf dem Dorf wie in der Stadt. Und ja: Wer aus Kriegs- und Krisenregionen kommt, bringt manchmal autoritärere Familienmodelle mit. Wer in engen Wohnungen, unter Druck, mit wenig Perspektiven lebt, hat ein höheres Risiko für Gewalt. Aber das ist eine Mischung aus sozialen, psychologischen und kulturellen Faktoren – kein Blutgruppenproblem.
Wenn wir sagen: „Wir haben ein Männerproblem“, tun wir so, als wären alle Männer potenzielle Täter. Das ist Unsinn und hilft niemandem. Wenn wir sagen: „Wir haben ein Ausländerproblem“, tun wir so, als sei der deutsche Täter die Ausnahme und der ausländische die Regel. Auch das ist falsch – und lenkt nebenbei vom eigenen Misthaufen ab.
Vielleicht ist die ehrlichere, unbequeme Variante:
Wir haben ein Gewaltproblem in Beziehungen.
Wir haben ein Rollenbildproblem.
Wir haben ein Hilfesystemproblem (zu wenige Frauenhäuser, zu wenig Beratung).
Und ja, wir haben ein Integrationsproblem dort, wo Menschen mit sehr starren Geschlechterbildern auf eine Gesellschaft treffen, die offiziell Gleichberechtigung predigt, sie aber im Alltag oft genug selbst nicht lebt.Institut für Menschenrechte+1
Dazu gehört auch, dass bestimmte Gruppen statistisch auffallen. Das darf man sagen – aber man muss sich dann auch die Mühe machen, nach Ursachen zu fragen: Altersstruktur (viele junge Männer), Armut, Sprachbarrieren, Traumatisierung, fehlende Angebote, rassistische Ausgrenzung, die wiederum Frust produziert. Wer von „Kulturproblem“ redet, sollte bereit sein, diesen ganzen Komplex mitzumeinen – nicht nur die bequeme Schlagzeile.
Und noch etwas: Keine einzige Frau wird dadurch lebendig, dass wir Statistiken gegeneinander in Stellung bringen – „unsere“ Opfer gegen „deren“ Täter oder umgekehrt. Was hilft, sind funktionierende Schutzmechanismen, konsequente Strafverfolgung, eine ernst gemeinte Finanzierung von Beratung und Prävention und eine ehrliche Diskussion über Männlichkeitsbilder, die ohne Ideologie auskommt.bka.de+1
Ich schreibe über Gewalt gegen Frauen, weil es real ist – nicht, um eine bestimmte Gruppe zum Feindbild zu machen. Wenn wir über Femizide reden, sollten wir genau hinsehen: auf Muster, Strukturen, Biografien. Pauschale Sätze wie „Wir haben ein Männerproblem“ (jüngst auf Plakaten im D-Land) oder „Wir haben ein Ausländerproblem“ sind in erster Linie eins: zu billig für das, worum es geht.
Deutschland hat eine Regierung, die das ignoriert und abgelutschte Phrasen benutzt, um die Öffentlich-Rechtlichen zu füttern. Männer, die viel Geld verdienen und eine gute Bildung besitzen, haben meistens auch nette Partnerinnen, oder einen guten Friseur… (:-)
danke für diesen text. aus meiner sicht möchte ich das thema bildung ergänzen, wo viel zu viel nicht bearbeitet wird, irgendwas mit ethik als unterrichtsfach und ein paar vorbilder in der öffentlichkeiot wären sehr sehr hilfreich. danke nochmal. 🫶
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Nun ja- vorsichtig sein mit Vorbildern im Moment… Vor allem männlichen. Tom das Marmeladenbrot und der ganze Verein ist eher zum Fremdschämen. … Einen schönen Tag Dir!
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ich hätte gerne „richtige“ vorbilder, nicht die, die wir da vorne stehen haben. dir auch einen schönen tag.
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Da kann ich nur wieder mit meiner König – Ansage kommen (konstitutionelle Monarchie) Monarchen – natürlich ohne private Skandale sind eigentlich eine gute Sache. Wenn man es aber selbst noch nicht erlebt hat, versteht man die Haltung nicht. In einem Multi – Kulti Staat wie Deutschland sowieso undenkbar. Das Problem ist also ein nicht Lösbares für das Land.
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die legitimation der vorbilder, so sie denn wirklich vorbild sind, ist egal. jedes land hat die regierung, die es verdient – letztlich.
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