Wie wäre es mit der Vertrauensfrage ????
Tag: 2. Dezember 2025
Warum Belgien beim Ukraine-Krieg auf der Bremse steht: Die Geschichte der eingefrorenen Milliarden
Während in der Ukraine Panzer rollen und Raketen fliegen, tobt in Brüssel ein anderer, stillerer Konflikt – einer um Milliarden Euro, rechtliche Prinzipien und nationale Interessen. Im Zentrum steht Belgien, genauer gesagt die Finanzinstitution Euroclear, bei der rund 190 Milliarden Euro russischer Staatsvermögen eingefroren sind. Die Frage, die Europa spaltet: Was soll mit diesem Geld geschehen? Und warum zögert ausgerechnet Belgien, das ansonsten als verlässlicher EU-Partner gilt?
Nach fast vier Jahren Krieg kontrolliert Russland etwa 20 Prozent der Ukraine. Allein 2024 eroberte das russische Militär über 4.000 Quadratkilometer hinzu. Die Ukraine hat bisher Unterstützung in Höhe von etwa 175 Milliarden Dollar von den USA und 197 Milliarden von der EU erhalten. Der Wiederaufbau wird auf Hunderte Milliarden Euro geschätzt. Da liegt der Gedanke nahe: Warum nicht Russland für die Zerstörung zahlen lassen? Schließlich liegen die russischen Vermögen eingefroren und ungenutzt in Brüssel.
Hier beginnt die komplizierte Geschichte. Die bei Euroclear in Brüssel eingefrorenen russischen Vermögen sind keine tote Masse – sie generieren Erträge. Allein 2024 flossen dadurch 1,7 Milliarden Euro Steuereinnahmen in die belgischen Staatskassen. Das ist keine Kleinigkeit für ein Land mit 11,5 Millionen Einwohnern. Zum Vergleich: Das entspricht etwa dem Jahresbudget mehrerer belgischer Ministerien. Die EU möchte nun diese Erträge direkt an die Ukraine weiterleiten. Für Belgien würde das bedeuten: Der goldene Tropf versiegt. Die lukrativen Steuereinnahmen würden wegfallen, ebenso wie der finanzpolitische Einfluss, den der Standort Euroclear dem Land verleiht.
Doch die belgische Zurückhaltung hat tiefere Gründe als bloße finanzielle Interessen. Premierminister Bart De Wever brachte es auf den Punkt: Noch niemals in der Geschichte wurden eingefrorene Staatsvermögen während eines laufenden Krieges umgewidmet oder konfisziert. Die rechtlichen Implikationen sind gewaltig. Als Standort von Euroclear wäre Belgien der erstrangige Beklagte in jeglichen Schiedsverfahren, die Russland anstrengen könnte. Während die gesamte EU von der Politik profitieren würde, müsste Belgien die rechtlichen Kosten und möglichen Schadenersatzforderungen schultern. Was heute mit russischen Vermögen geschieht, könnte morgen einen Maßstab setzen. Andere Länder könnten dies als Legitimation sehen, westliche Vermögen unter ähnlichen Vorwänden zu beschlagnahmen. Das System internationaler Finanzbeziehungen basiert auf Vertrauen – und dieses Vertrauen steht auf dem Spiel. Russland hat bereits angedroht, westliche Vermögen in Russland zu konfiszieren. Belgische Unternehmen und Investitionen könnten die ersten Opfer sein.
Die belgische Regierung lehnt es nicht grundsätzlich ab, die russischen Vermögen für die Ukraine zu nutzen. Sie fordert aber rechtsverbindliche Garantien von allen EU-Mitgliedstaaten. Die Botschaft ist klar: Wenn dies eine europäische Politik ist, dann muss Europa auch gemeinsam die Verantwortung tragen – rechtlich, finanziell und politisch. Bisher haben andere EU-Staaten diese Garantien nicht gegeben. Für sie ist es bequem: Die Vorteile teilen sich alle, das Risiko trägt Brüssel.
Der Hinweis, dass der Krieg irgendwann vorbei geht, trifft einen entscheidenden Punkt. Nach jedem Krieg kommt die Diplomatie, kommen Verhandlungen, kommt die Normalisierung. Belgien denkt bereits an den Tag danach: Wie wird Russland nach Kriegsende reagieren? Welche rechtlichen Verfahren werden folgen? Wie wird das internationale Finanzsystem funktionieren, wenn das Prinzip der Unverletzlichkeit von Staatsvermögen gebrochen wurde? Werden andere Konfliktherde auf der Welt dieses Beispiel nutzen?
Die belgische Position ist nachvollziehbar, wirkt aber auch berechnend. Einerseits zeigt das Land berechtigte rechtliche Sorgen. Andererseits profitiert es massiv von einer Situation, die aus einer russischen Aggression entstanden ist. Diese Ambivalenz zieht sich durch die gesamte europäische Reaktion auf den Krieg: Moralische Empörung und Solidarität mit der Ukraine treffen auf nationale Interessen, wirtschaftliche Abhängigkeiten und Risikoabwägungen.
Die Geschichte der eingefrorenen russischen Milliarden in Belgien zeigt, wie komplex internationale Politik in der Realität ist. Es gibt keine einfachen Antworten, nur Abwägungen zwischen konkurrierenden Prinzipien: Gerechtigkeit für die Ukraine versus internationale Rechtsnormen, kurzfristige Hilfe versus langfristige Stabilität des Finanzsystems, gemeinsame europäische Werte versus nationale Eigeninteressen, symbolische Gesten versus praktische Konsequenzen. Belgiens Zurückhaltung mag aus ukrainischer Perspektive frustrierend erscheinen. Doch sie erinnert uns daran, dass der Weg von moralischer Klarheit zu politischer Umsetzung oft steinig und kompliziert ist – besonders wenn es um 190 Milliarden Euro geht, die nach dem Krieg noch da sein werden, wenn die Kameras längst abgeschaltet sind.
Die Debatte um die russischen Vermögen wird weitergehen. Für Belgien steht fest: Solidarität ja, aber nicht um jeden Preis – und schon gar nicht als alleiniger Risikoträger für eine gesamteuropäische Politik.