Kein Mitohnesahne-Buch

Die ganze Sache fing mit einem gefährlichen Gedanken an: Was, wenn ich irgendwann dieses eine Mitohnesahne-Buch schreibe, nach dem eigentlich Schluss sein müsste? Nicht mit dem Leben, keine Panik, sondern mit dem Versuch, das alles literarisch immer noch ein Stück zu toppen.

Wenn ich ehrlich bin, waren die letzten Bücher, Texte, Blogartikel Fingerübungen. Gute Fingerübungen, manchmal schmerzhaft ehrlich, manchmal überraschend lustig dafür, was sie so beschrieben haben – aber eben doch: Proben. Warmspielen. Wie am Klavier, wenn man noch Tonleitern spielt und so tut, als sei das schon Musik, obwohl das eigentliche Stück erst noch kommt. So waren Klinikflure, Kaffeemaschinen, Eifeldorf-Alltag, Trennung, Krankheit, dieser ganze Wahnsinn – alles Material, mit dem ich üben durfte: Schmerz aufschreiben, ohne in Kitsch zu kippen. Wut in Sätze pressen, ohne einfach nur zu brüllen. Alltag so erzählen, dass klar ist: Das ist mein Ernst, und trotzdem darf gelacht werden.

Und irgendwo zwischen Wartezimmer, Küchenstuhl und viel zu vollem Kopf tauchte er dann auf, dieser Satz, der sich ein bisschen anfühlt wie ein zu großes Hemd: Was, wenn ich jetzt ein Mitohnesahne-Buch schreibe, das so ehrlich, so klar, so ich ist, dass danach nichts mehr drüber geht? Kein „größer“, kein „noch dramatischer“, kein „noch trauriger“, sondern einfach: das Ding. Der Endgegner unter den Büchern. Ohne Zuckerguss, ohne Trostpflaster am Ende, mit Humor an Stellen, an denen man normalerweise betreten schweigt, mit Szenen, die so real sind, dass man sie beinahe riecht, und mit dieser unverschämten Ehrlichkeit, die sagt: So war es. Du musst das nicht mögen, aber wegsehen ist jetzt schwierig.

Genau da wird es heikel. Denn sobald man so denkt, sitzt einem die nächste Frage im Nacken wie ein schlecht gelaunter Verlagslektor: Und was kommt dann danach? Noch mehr Drama? Noch mehr Tränen? Noch mehr „fast gestorben, aber toll daran gewachsen“? Ganz ehrlich: halb sterben kann man nicht jedes Mal. Weder im Leben noch im Schreiben. Es gibt nur eine begrenzte Anzahl Tage, an denen man wirklich am Rand steht. Den Rest der Zeit versucht man, halbwegs geradeaus zu gehen, die Kinder rechtzeitig zur Schule zu bringen und den Kaffee nicht schon kalt zu trinken, bevor man die erste Seite schafft.

An dieser Stelle taucht Benjamin von Stuckrad-Barre in meinem Kopf auf wie jemand, der zu spät zur eigenen Lesung kommt, sich aber hinsetzt, eine Kippe dreht und trotzdem die besten Sätze des Abends liefert. Ich mag an ihm, dass er über Abgründe schreibt, ohne sie zu dekorieren. Dass er sich selbst nicht als Held inszeniert, sondern als Teil des Problems. Dass man bei ihm lachen muss, während einem gleichzeitig etwas im Hals stecken bleibt. Und dass er das Hässliche, Peinliche, Schmerzliche nicht wegpackt, sondern ernst nimmt – ohne es zu verklären. Diese Haltung liebe ich: dieses „Hier, so ungefähr war’s. Mehr kriegst du nicht. Weniger aber auch nicht.“

Für ein großes Mitohnesahne-Buch wäre genau das die Blaupause, nicht im Sinne von Stilkopie, sondern als innere Erlaubnis. Kein Glitzer, kein Coaching-Ton, kein „Und am Ende hatte alles einen tieferen Sinn“. Eher so: Es war schlimm, es war schön, es war absurd, es war echt – und ich schreibe es auf, weil es sonst niemand tut. Und doch merke ich, wie falsch es ist, in Kategorien wie „Toppen“ zu denken. Das ist etwas für Achterbahnen, Horrorfilme und irgendwelche Leute, die jedes Jahr „noch krasser abgenommen“ haben wollen. Aber nicht für Literatur, die in der eigenen Blutbahn spielt.

Vielleicht ist das eigentliche Ziel gar nicht, ein Buch zu schreiben, das man nicht toppen kann, sondern eines, das man nicht toppen muss. Ein Buch, das so nah an der Wahrheit sitzt, dass danach nichts mehr höher muss, nur noch anders. Und bis dahin bleiben die Fingerübungen. Bücher, Blogtexte, Grenzlandgeschichten, Eifelminiaturen, Küchentisch-Szenen, Café-Beobachtungen, kleine Dialoge im Vorbeigehen. Alles Material, das die Hand lockert und den Mut sammelt.

Vielleicht wird dieses große Mitohnesahne-Buch irgendwann tatsächlich geschrieben. Vielleicht merke ich es beim Schreiben gar nicht, sondern erst, wenn es im Regal steht und leise sagt: So. Das bin jetzt ich. Danach muss nichts mehr lauter, nur noch wahr. Bis dahin schreibe ich weiter: mit halben Wahrheiten, die immer ganzer werden, mit Humor an Stellen, an denen man angeblich nicht lachen darf, und mit Sätzen, die sich langsam nach diesem einen Buch vortasten, von dem man ahnt, dass man es nicht toppen könnte – und es genau deshalb irgendwann schreiben sollte.

Mein 2. Exmann sollte aber jetzt schon mal für den Anwalt sparen. Oder wahlweise endlich den altersgerechten Unterhalt zahlen…Lächel…

10 Gedanken zu “Kein Mitohnesahne-Buch

      1. Beim Lesen des Beitrags blieb es in meinen Sinnen hängen, mehr wie andere Worte! Diese Sehnsucht nach dem ultimativen Buch über das eigene Leben kenne ich gut! Vielleicht gelingt es dir!
        Ich strebe es nicht an, für mich ist mein Blog so was …

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      2. Ja- das ist der Punkt. Wieviel würde zerstört, minimiert oder glattgeredet werden, was es ausmacht.
        Ich habe einen Erzählstil betitelt. „Grenzland- Noir“. „Grenzland Geschichten“ liegen in meiner Schublade- ein Kurzgeschichten Buch. Vielleicht für andere flach und uninteressant, weil dunkel, mit tieferen Aussagen und in die Region hier passend. Aber ich liebe es, sie mir auszudenken und zu schreiben.
        Aber wie wäre es, Dein Buch für Dich zu schreiben? Es in die Schublade zu legen und es zu wissen ! 🧡

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  1. Jahrelang habe ich ..zig Tagebücher voll geschrieben, die standen im Regal unter all den anderen Büchern, doch niemals sollten meine Liebsten darin lesen, deshalb habe ich sie vernichtet. Damals hat mir das Schreiben unendlich viel Freude und Erleichterung gebracht, doch es war eben nix für andere Augen. Es ist gut so!

    Bei dir ist es anders!

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      1. Das Buch, das gerade einen Preis bekommen hat (Die Holländerinnen) hat eine dubiose Genre Bezeichnung bei Amazon. Astronomie (!) Platz eins. Die anderen finde ich leider nicht mehr, aber unter den ersten 10 war das Buch vor dem Preis nie.

        Man macht sich Mühe, Tage, Wochen, Jahre und kennt leidet keinen aus der Jury…. So what oder besser „warum“ ???

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